Kieselalgen im Ruppiner See - Leben unter dem Eis

 

Ab Mitte Februar, wenn die Tageslänge wieder deutlich zunimmt, beginnt sich trotz niedriger Temperaturen auch im Ruppiner See wieder das Leben zur regen. Mit dem Frühjahrsauftrieb driften winzige Algen (Phytoplankton) vom Grund an die Oberfläche. Je wärmer der See, desto intensiver fällt die „Algenblüte“ aus. Aber noch ist das Wasser sauerstoffreich, eiskalt und klar. Mit Schaber oder weicher Bürste kann man die Kieselalgen (Diatomeen) von Steinen, Pflanzenresten oder untergetauchten Pfosten ablösen und untersuchen. Der weit in den See führende Badesteg eignet sich hierzu für den Hobby-Forscher bestens. Die meisten der winzigen einzelligen Kieselalgen messen lediglich zwischen 0,01 und 0,2 mm. Um die verborgenen Schönheiten zu beobachten benötigt man daher ein gut auflösendes Mikroskop. Wer so ein Instrument besitzt, oder sich einmal die eindrucksvollen elektronenmikroskopischen Diatomeen-Bilder im Internet anschaut, wird durch einen außerordentlich ästhetischen Anblick belohnt. Kieselalgen leben in einem glasartigen, durchsichtigen Panzer, welcher aus einem Grundgerüst von Siliciumdioxid (Kieselsäure) gebildet wird. Die Fotos oben zeigen Mikroaufnahmen von Kieselalgen aus dem Ruppinger See. Ähnlich dem Quarzglas ist der Kieselsäurepanzer äußerst resistent gegenüber Chemikalien und Lösungsmitteln. Der Schutzpanzer der Mikroalgen ist zweiteilig und besteht aus einem den Rand übergreifenden Deckel und einem Boden (‚Frusteln‘ genannt). Die Einzeller verbergen sich gewissermaßen in einer Schachtel, welche sich nur zur Vermehrung öffnet. Dann nimmt jede Zelle nach der Zweiteilung eine Schalenhälfte mit und bildet den Konterpart rasch neu. Dabei werden drei- oder viereckige, -stäbchen- oder schiffchenförmige bis völlig runde Strukturen, je nach Art, ausgebildet. Das Verfahren hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Die Nachfahren werden nämlich bei diesem „Matroschka-Prinzip“ immer kleiner. Allerdings gibt es eine untere Grenze. Ist eine Minimalgröße erreicht geht es sexuell weiter. Hierzu werden Geschlechtszellen (Gameten) gebildet, welche sich mit dem Gameten eines anderen Individuums wieder zur Ausgangsgröße vereinigen. Auf dem Silikatpanzer sieht man bei höherer Vergrößerung faszinierend regelmäßig angeordnete Muster die aus Punkten/Poren und Linien bestehen können. Jede Art hat ihr unverkennbares „Design“. Die genaue Bestimmung erfordert allerdings viel Erfahrung. Der Artenreichtum ist immens. Ca. 6.000 sind wissenschaftlich beschrieben, schätzungsweise über 100.000 könnten weltweit existieren.

 

Kieselalgen kommen sowohl im Süß- als auch im Meerwasser, in feuchten Böden oder sogar zwischen Moosen vor. Marine Kieselalgen bestreiten einen bedeutenden Anteil am weltweiten Phytoplankton. Diatomeen sind wie höhere Pflanzen zur Photosynthese befähigt (aus Sonnenlicht + Wasser + Kohlendioxid entstehen Zucker/Kohlenhydrate + Sauerstoff). Sie produzieren grob geschätzt ca. 20 % des Sauerstoffs und bis zu 25 % der gesamten Jahresmenge an pflanzlichen Kohlenhydraten der Erde (= Primärproduktion) und stehen damit den Regenwäldern der Erde als Sauerstsoffproduzenten keinesfalls nach. Sterben sie ab, sinken sie auf den Grund. Dort können die nicht verrottenden Schalen über die Jahrmillionen mächtige Kieselgurschichten (Diatomeenerden, z.B. in der Lüneburger Heide) bilden. Gereinigte ungiftige und geschmacksneutrale Kieselgur ist ein hervorragendes Material zur Entfernung von Trübstoffen (z.B. aus Wein, Bier) oder Krankheitserregern aus Trinkwasser. Kieselgur ist auch als Trägermaterial für Chemikalien geeignet. Alfred Nobel fixierte das von ihm entwickelte Dynamit auf Kieselgur.

 

Kieselalgen sind auch für die Bewertung der ökologischen Qualität von Gewässern von großer Bedeutung. Am Artenspektrum lassen sich nämlich negative Umwelteinflüsse sehr gut ablesen. Nach einer Europäischen Verordnung (Wasserrahmenrichtlinie) sind alle größeren stehenden und fließenden Gewässer in der EU regelmäßig auf ihren ökologischen Zustand zu überprüfen. Auch der Ruppiner See (Fläche 807 ha) unterliegt an zehn Messstellen einem regelmäßigem Monitoring. Während der ökologische Zustand insbesondere wegen der Verarmung an höheren Wasserpflanzen aktuell nur die magere Gesamtnote 4 (auf einer Skala von 1-5) erhält (Landesamt für Umwelt, Steckbrief Seen, Stand 10.10.2017), sieht es hinsichtlich der Teilkomponente Diatomeen noch recht gut aus. Hier wurde in den zurückliegenden Jahren die Klassennote 2 vergeben (guter Zustand), im Jahr 2009 sogar ein „sehr gut“. Die Daten für das Jahr 2019 sind leider (noch) nicht öffentlich verfügbar.